Kunst

Cassandra

Lambert Maria Wintersberger 1941-2023

Cassandra Hughes, 1972
Öl auf Leinwand, 150 x 120 cm

Aus der Portraitserie des Künstlers ist das Bild „Cassandra Hughes“ von besonderer Ausdruckskraft. Gezeigt wird nur der Kopf. Der Blick konzentriert sich sofort auf die Gesichtsstruktur mit Mund, Nase, Augen und dem pastos hervorgehoben Ohr. Die Farbflächen sind im Übrigen glatt mit sehr feinen Farbabstufungen. Der Künstler zeigt, wie er das Psychische, dies ist die Wirklichkeit, durch seine Arbeit als Maler darstellen kann. Der Maler seziert die Persönlichkeit in Gestalt des Portraits. Ein großartiges Bild.

Dieter Gersemann
31. Oktober 2023

Cassandra Hughes, ein Portrait des Malers Lambert Maria Wintersberger (1941 – 2013)

Öl auf Leinwand, 150 x 120 cm, schaut auf mich herunter. 1972 malte Wintersberger dieses Portrait, eines, was sich in die lange Reihe seiner Portraits einfügt, eine gespaltene Persönlichkeit, aufgeteilt in vier „Zonen“. Ohne Umschweife ist für jeden Betrachter zu erkennen: Wir sehen eine „depersonalisierte Person“ in ihren Widersprüchlichkeiten und Gegensätzlichkeiten. Eine Selbstentfremdung einer Frau in den besten Jahren, keine freudige, aber überaus interessante, neugierig machende Ausstrahlung geht von ihr aus. Sie wirkt einerseits als „Maske“ und dennoch als eine Person mit einem individuellen, autonomen Selbst andererseits.

Das Gemälde ist überwiegend in den diversesten Grautönen gehalten. Es ist eine sorgfältige handwerkliche Arbeit, hat glatte, schroff und zugleich weich wirkende, schattenreiche Flächen zu einem ausdrucksstarken Frauenportrait werden lassen. Der Kopf mit Hals und dem Schulterbereich ist mit einem senkrecht verlaufenen Strich in zwei Hälften geteilt, ein weiterer Stich teilt das Gesicht diagonal, sodass vier Sinnesorgane in verschieden angeordneten Höhen die Gesichtspartie darstellen. Das rechte sichtbare Ohr ist überdimensional groß, betont durch hellere Grau- bis Weißfarbnuancen, pastös, das rechte Auge hellblau leuchtend – schielend, hat den Betrachter sofort fixiert, es strahlt Magie und Fiktion aus. Mund und Kinn sind andeutungsweise – halbiert dargestellt, die linke Gesichtshälfte komplettiert das Gesicht durch Nase, markantes als „Knopf“ hervorgehobenes Kinn, zwei unschöne, weiß aus dem Mund leuchtende Schneidezähne. Das den Betrachter von links anschauende Auge sitzt höher, wirkt trüb und – auf mich – „gnädiger“. Die linke Stirnhälfte ist durch dunkle Farbgebung als „Denkerstirn“ gemalt, die rechte wirkt schlaffer und unbedeutender. Zusammengehalten werden die vier „Gesichtsteile“ durch das alles umrahmende, weich fallende, mit rötlichen Strähnen durchzogene Haar. Cassandras weicher Hals- und Schulterbereich wirkt anziehend erotisch. Nicht unbeachtet darf die Verhältnismäßigkeit zwischen der Länge des Halses und des Kopfes bleiben. Der lange, starke Hals trägt den „wirren“ Kopf wie eine Säule und erzeugt dadurch eine „Stabilität“. Je länger ich mich mit Cassandra „unterhalte“, um so farbiger erscheint sie mir in ihrer Grauheit.

Sie ruft bei mir kein Erschrecken hervor, sie hat auf mich eine beruhigende und fordernde Wirkung, so, als ob sie uns einen Spiegel vorhalten will: Sind wir nicht alle in uns gespalten? Haben wir nicht alle diverse, vielfältige Facetten der unterschiedlichsten Empfindungen, Gefühle und Ausdrucksebenen in uns? Will uns Wintersberger aufrütteln, Menschen differenzierter zu betrachten und alle Möglichkeiten der Verschiedenartigkeit eines Menschen zuzulassen? Sind wir uns bewusst, was wir alles in uns vereinen?

Renate Koetter
November 2023